Hochwasserschutz früher und heute
Staustufen oder „freier Lech“?
Bei extremem Hochwasser während der Schneeschmelze kann der Lech mehr als das Zehnfache seiner normalen Wassermenge mit sich führen. Früher sind dann regelmäßig große Flächen der Lechaue überschwemmt worden – mit allen Nachteilen für die Menschen, die in den Dörfern und Städten am Fluss lebten. Deshalb haben sie schon immer versucht, den wilden Fluss zu bändigen – von der Begradigung des Flusslaufs bis hin zum Bau von Deichen und großen Staustufen. Heute überlegt man eher, dem Lech zumindest teilweise wieder seine alte Form zurückzugeben. Das Projekt heißt „Licca liber" – „freier Lech".
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Die Geschichte vom Lechgeist (frei nach Karl Bauer)
Vor vielen, vielen Jahren hatte der Lech noch nicht sein festes Flussbett wie heute. Besonders im Frühjahr, zur Zeit der Schneeschmelze in den Bergen, trat er oft über die Ufer und überflutete weithin die Wiesen, Weiden und Felder. Wenn die Schneeschmelze vorbei war, floss er wieder in sein altes Bett zurück, und in den Altwassern der Lechauen blieb das Wasser an vielen Stellen das ganze Jahr über stehen. In diesen Tümpeln gab es oft sehr viele Fische. Dort, wo früher der große Lochbachwasserfall war, dehnte sich einst ein weites Altwasser aus. Bei den Fischen hauste dort ein Wassermann. Er war klein von Gestalt, doch auf seinem hechtgrauen Körper saß ein riesiger Kopf, und aus dem bleichen Gesicht stachen feuerrote Augen. Sein großer Mund war von einem langen, weißen Bart eingerahmt. Trotz seines erschreckenden Aussehens war der Lechgeist aber nicht bösartig, doch durfte man seinen Frieden nicht stören, denn er wollte mit seinen Fischen alleine sein. Nun geschah es, dass einmal der Neuhauswirt seine zwei Buben in die Nepomukkapelle schickte, sie sollten die Abendglocken läuten. Anstatt danach sofort nach Hause zu gehen, wie es sich für ordentliche Kinder geziemte, strolchten die beiden noch hinüber in die Lechauen. Die ersten Fledermäuse flatterten bereits im Zickzackflug durch den lauen Sommerabend, und im nahen Wald sang eine Drossel ihr Abendlied. Die Buben bleiben stehen und horchten. Plötzlich deutete einer der beiden erschrocken zum Waldrand und rief entsetzt: „Da schau, der Lechgeist!“ Dann rannten beide davon.
Weil aber der Wassermann noch ein gutes Stück entfernt war, wurden die beiden Lausbuben am Ende doch frech und riefen dem Lechgeist Schimpfnamen zu. Da wurde dieser wütend, erhob sich aus seiner feuchten Niederung und eilte, wie vom Sturmwind getrieben, auf die beiden zu. Als die Spötter das sahen, packte sie das Grausen, und sie rannten so schnell sie konnten heim. Der Wassermann scheute indes die Nähe der Menschen nicht und setzte den Buben nach.
In ihrer riesengroßen Angst erreichten sie mit letzter Not das Neuhaus, sprangen hinein, schlugen die Haustüre zu und stemmten sich mit aller Kraft von innen dagegen. Draußen fauchte zornig der Geist und rüttelte wütend an der Tür. Ein Brandgeruch zog auf und wehte in feinen Schwaden durch die Türritzen in den Flur, und als man später vorsichtig die Haustür öffnete, da sah man, dass der feurige Atem des wütenden Lechgeists den hölzernen Türrahmen versengt hatte.
Noch lange danach konnte man das Brandmal an der Haustür als sichtbares Zeichen des erzürnten Wassermanns erkennen. Die beiden Buben aber mussten ihre Bosheit bitter büßen. Von Stund‘ an sauste und brauste es in ihren Ohren, als ob ununterbrochen ein Wasserfall darinnen toste. Eines Tages konnten sie dieses Rauschen und Brausen nicht mehr ertragen. Sie liefen, wie es die Alten des Dorfes ihnen geraten hatten, mit klopfenden Herzen hinaus zum Altwasser, brachten dem Lechgeist einen Laib Brot und sprachen:
„Wassermann, Wassermann, eins, zwei, drei! Nimm dir den Laib und mach uns frei vom Rauschen und Tosen in unserem Ohr, auf dass wir hören wieder der Glocken Chor.“
Da war der Lechgeist versöhnt. Gesund und heilfroh kehrten die beiden Buben wieder nach Hause zu ihren Eltern zurück.
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Hochwasserschutz am Lech früher
Zum Schutz vor den regelmäßig wiederkehrenden Hochwassern haben die Menschen den Lech begradigt und eingedeicht. Teile der alten Deiche sind auch heute noch zu finden. Auf der Königsbrunner Seite verläuft beispielsweise der Radweg vom Mandichosee zum Hochablass in Augsburg auf dem ehemaligen Deich. Auf der Meringer und Kissinger Seite ist der alte Deich sogar durchgängig vom Mandichosee bis zum Kuhsee erhalten.
Bei sehr starken Hochwassern musste auf dem Höhepunkt der Fluten ein Teil des Wassers aber zusätzlich auf Überschwemmungsflächen abgeleitet werden. Dazu diente auch der Lochbach, ein alter Seitenarm des Lechs. Er führte das Hochwasser in den Augsburger Stadtwald, wo es über mehrere alte Flutrinnen verteilt wurde. Ungefähr auf der Höhe der flussabwärts gelegenen Seite der heutigen Staustufe 23 (Mandichosee) zweigt beispielsweise der Aumühlgraben vom Lochbach ab. Noch heute kann man das alte Flutwehr sehen und das Gebäude über dem Lochbach, in dem die elektrischen Anlagen für die Bedienung des Wehrs untergebracht sind. Bei Bedarf kann das Flutwehr abgesenkt werden. Das Wasser strömt dann in den Aumühlgraben und von dort in den Augsburger Stadtwald, wo es keinen Schaden mehr anrichten kann.
Dieselbe Funktion hatten der etwas weiter flussabwärts vom Lochbach abzweigende Neue Graben und der Bayerbach sowie der Alte Floßgraben. Heute überlegt man, ob man diese alten Flutrinnen wieder reaktiviert, um dem unter chronischer Trockenheit leidenden Stadtwald zusätzliches Wasser zuzuführen.
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Hochwasserschutz am Lech heute
Heute besteht der Lech aus einer Kette von Staustufen, die direkt unterhalb von Füssen mit dem Forggensee beginnt, der Lechstaustufe 1, die bereits 1954 in Betrieb genommen wurde. Der 1982 eingeweihte Stausee bei Unterbergen ist die Lechstaustufe 22, der 1978 errichtete Mandichosee die Lechstaustufe 23. Der Hochablass in Augsburg besteht als Stauwehr mit Anstich und der Möglichkeit, hier Lechwasser abzuleiten, bereits seit dem frühen 14. Jahrhundert.
Bei Hochwasser kann jede einzelne Staustufe eine große Menge der Wassermassen zurückhalten und dann zeitlich gestreckt kontrolliert weitergeben. Dadurch wird die Hochwasserwelle von Staustufe zu Staustufe weiter verlangsamt und auch in ihrer Höhe verringert. Der Abfluss des Hochwassers dauert zwar länger, richtet dafür aber keinen Schaden an. Zudem kann mit den abfließenden Wassermassen in den Kraftwerken der Staumauern eine große Menge elektrische Energie erzeugt werden.
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Ökologische Folgen
Der Hochwasserschutz am Lech nutzt den Menschen, hat aber für den Fluss selbst und sein Umland auch eine Menge negative Auswirkungen. So erhöht sich durch die Begradigung des Flusslaufs die Fließgeschwindigkeit. Der Lech gräbt sich dadurch immer tiefer in sein Bett ein. Die Folge: Der Grundwasserspiegel sinkt, was zu erheblichen Problemen in der Trinkwasserversorgung führen kann. Daran können letztlich auch die vielen Wehre nichts ändern. Diese Querbauwerke sollen den Lech bremsen und die Fließgeschwindigkeit verringern. Auch die Natur leidet unter dem sinkenden Grundwasserspiegel. Feuchtgebiete im Auwald fallen trocken, und die Pflanzen haben immer größere Schwierigkeiten, mit ihren Wurzeln wasserführendes Erdreich zu erreichen.
Aber auch der Fluss selbst leidet. Durch die vielen Staustufen wird der Nachschub an Schotter unterbunden, den der Lech seit Jahrtausenden aus dem Gebirge mit sich führt. Deshalb müssen regelmäßig an vielen Stellen des Flusses riesige Schottermengen künstlich in den Lech eingebracht werden. Trotzdem besteht ständig die Gefahr, dass die Sohle des Flussbetts, die in der Regel von dem Kies geschützt wird, von der Strömung freigespült wird. Sollte diese abgetragen und vom Lech durchbrochen werden, befürchten Fachleute, dass der gesamte Fluss schlimmstenfalls einfach im Grundwasser verschwinden könnte.
Das Ökosystem des Flusses ist durch den Hochwasserschutz ebenfalls stark verändert worden. Wo früher in den Stromschnellen des Lechs kapitale Huchen lauerten, tummeln sich heute im warmen Wasser der Staustufen dicke Karpfen. Vor allem die Wanderfische wie Barben, Forellen oder Huchen, die zur Fortpflanzung kiesige Bereiche des Oberlaufs aufsuchen, können ihre Laichplätze schon lange nicht mehr erreichen. Abwandernde Fische hingegen werden oft Opfer der Turbinen in den Kraftwerken. An einige Staustufen sind aufwändige und moderne Fischtreppen entstanden, wie etwa am Mandichosee. An anderen wie dem Hochablass in Augsburg ist dies mit Hinweis auf die hohen Kosten bisher unterblieben. Der Fischbestand kann an vielen Abschnitten des Lechs heute nur noch durch regelmäßige Besatzmaßnahmen aufrecht erhalten werden. Und so wundert es nicht, dass manche Biologen den Lech – den am meisten verbauten Fluss Bayerns – heute als „Flussruine“ bezeichnen, die dringend saniert werden muss.
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Das Projekt „Licca Liber“
„Licca“ ist der lateinische Name des Lechs, so haben ihn schon vor 2000 Jahren die Römer genannt. „Liber“ ist ebenfalls lateinisch und bedeutet „frei“. „Licca Liber“, der „freie Lech“, das ist die Bezeichnung eines großen Renaturierungsprojekt. Dadurch soll der Lech von der Staustufe 23 (Mandichosee) bis zu seiner Mündung in die Donau bei Marxheim in einen möglichst naturnahen Zustand zurückversetzt werden. So will man die weitere Eintiefung verhindern und dem Fluss die Chance auf eine naturnahe Entwicklung geben. Damit soll die Bewertung seines ökologischen Potenzials nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie von derzeit nur „mäßig“ auf „gut“ erhöht werden. Als integriertes Projekt berücksichtigt „Licca Liber“ sowohl wasserwirtschaftliche als auch ökologische Ziele und die Interessen Dritter. Eine intensive Zusammenarbeit mit Naturschutzorganisationen sowie allen weiteren Interessensvertretern ist ausdrücklich erwünscht und vorgesehen.
Als Grundlage für alle weiteren Ziele plant das federführende Wasserwirtschaftsamt Donauwörth, die Flusssohle zu stabilisieren und damit eine weitere Eintiefung zu verhindern. Dazu sollen die Uferbestigungen abgebaut und das Flussbett ausgeweitet werden. Große Mengen Kies werden in den Fluss gegeben, um die Sohle zu belegen. Die bisherigen starren Querbauwerke sollen durch durchlässige Rampen aus Gestein ersetzt werden. Die Auelandschaften an den Lechufern sollen wieder stärker an den Fluss angebunden werden. Gemeinsam mit der Verbesserung der Strukturen im und am Gewässer können im und rund um den Lech wieder vielfältige Lebensräume entstehen. Weiträumige Überschwemmungsflächen in den Auen sollen dem Hochwasserschutz dienen. Gleichzeitig soll aber auch die Qualität des Lechs als Naherholungsgebiet verbessert werden. Das Projekt „Licca Liber“ läuft bereits seit 2013. Bisher befindet es sich bis auf die dringend nötigen Sofortmaßnahmen zur Stabilisierung der Sohle durch Kieseintrag noch in der Planungsphase.
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Zusätzliche Informationen am Wegrand
Eine klassische Maßnahme ist die Ableitung des Hochwassers über Flutrinnen in Flutmulden, wo es sich sammelt und keinen weiteren Schaden mehr anrichten kann. Auch die Auwälder und alte Flussarme wie der Lochbach erfüllten vor dem Bau der Staustufen diese Funktion.
Heute wird der Lochbach am Staudamm der Staustufe 22 bei Unterbergen durch ein Wasserkraftwerk aus dem Lech abgeleitet. Dabei wird Strom erzeugt. Die Wassermenge im Lochbach kann dabei genau gesteuert werden. Hochwasser kann es daher am Lochbach gar nicht geben.
Tipp vom schlauen Fuchs Fido
Unglaublich, oder? Früher hatten die Menschen sehr viel Respekt vor dem wilden Lech. Vor allem im Frühjahr, wenn in den Bergen der Schnee schmolz, trat der Fluss über die Ufer und überschwemmte Wiesen und Felder. Die Menschen glaubten, dass im Fluss ein Wassermann lebte, der „Lechgeist“. Hierzu gibt es eine spannende Sage, die du ganz oben nachlesen kannst.
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